Ich kann eure Verzweiflung sehr gut verstehen, die Situation als Angehöriger ist wirklich unglaublich belastend. Ich hoffe auch, dass das Buch euch was bringt - ich fand es gut, ein einfühlsamere und auch weniger beängstigende Sicht auf die Psychose zu bekommen. Ich glaube, das ist für uns Angehörige auch wirklich das A und O - verstehen, dass die Psychose nicht von "irgendwoher" kommt (ich halte es auch absolut nicht für richtig und zu einseitig, Psychosen als reine Hirnkrankheit zu bewerten, die nur biologisch begründet und mit Antipsychotika zu behandeln ist). Mittlerweile erkenne ich den Sinn hinter einer Psychose, zumindest für meine Partnerin... ich weiß natürlich nicht, wie das ist bei drogen/medikamenteninduzierten Psychosen etc., aber für meine Partnerin wurde das "reale Leben" einfach zu viel, zu schwer und sich zu flüchten in die Psychose war ihr letzter Ausweg, das hat sie natürlich nicht bewusst gemacht, aber ihr Hirn sah das als letztes Hilfsmittel an, es gab ihr wieder Sinn im Leben, "Bedeutung", am Anfang auch Trost. Deswegen würde ich persönlich bei sozialem Rückzug vorsichtig sein, das als eindeutiges Frühwarnzeichen zu sehen, @kissa - wenn du jetzt beispielsweise von allem langsam überfordert wirst, dann hättest du wahrscheinlich auch nicht den Kopf, auf E-Mail zu reagieren, sondern würdest dich zurückziehen wollen. Ich habe großen Respekt vor dir, dass du alles tun möchtest, um einen Klinikaufenthalt für deine Tochter zu verhindern - Hut ab, das bedeutet viel Kraft! Aber vielleicht hilft es ja, deine Sorge etwas gehenzulassen, auch für dich ganz persönlich, wenn du mehr versuchst die Perspektive zu wechseln. Deine Tochter macht gerade höchstwahrscheinlich was Schweres durch... ist es da "okay", sich zurückziehen zu wollen? Was setzt sie eher unter Druck, was könnte ihr gut tun? Wenn sie auf dich reagiert, auch einsilbig, ist das wirklich noch gut! Vielleicht schafft sie momentan nicht mehr. Meine Partnerin hat mir mitgeteilt, dass sie, auch als sie gar nicht mehr auf mich reagieren konnte, trotzdem noch meine Worte wahrgenommen hat und in Kontakt treten wollte, aber es war einfach zu schwer (bei ihr noch verstärkt durch die Tabletten tatsächlich, die haben sie wirklich total zum Zombie gemacht, tat unheimlich weh das zu sehen). Was uns auch mehr geholfen hat (nicht in der akuten Psychose, aber so im "Aftermath" und auch die Wochen als es sich "angeschlichen hat") war Schreiben, tatsächlich. Meine Partnerin meinte es war sehr viel leichter für sie, sich durch's Schreiben zu verständigen, weil sie da länger nachdenken konnte und Reden für sie mit Druck verbunden war, besonders im direkten Kontakt. Vielleicht kannst du das deiner Tochter auch mal anbieten, sagen, hey, ich hab's Gefühl reden ist gerade bisschen schwerer für dich aber ich wäre unheimlich gerne für dich da, wenn du mir also was sagen magst, kannst du's auch aufschreiben/per WhatsApp schicken/E-Mail und ihr vielleicht auch sagen, dass ihre Familie an sie denkt, sehr liebt, aber dass sie nicht antworten muss wenn sie gerade nicht kann/möchte. Immer viel Liebe und Zuneigung! Ich habe meine Partnerin immer am besten erreicht, wenn sie meine Liebe noch gespürt hat und wenn ich auch mit den Symptomen "liebevoll" umgegangen bin.
Ähnliches bei dir, @AliceImWunderland, ich sende dir und deiner Familie ganz viel Kraft, möchte aber auch erwähnen, dass es deiner Tante vielleicht gerade gar nicht so schlecht geht wie ihr das wahrnehmt. Es gibt genügend Menschen, die ihre Psychose als etwas Gutes wahrnehmen und durch die Psychose etwas bekommen, was ihnen ihr "reales Leben" nicht geben kann. Im Falle deiner Tante könnte das ganz, ganz simpel sein: (romantische) Liebe, Trost gegen Einsamkeit. Das mag unbeschreiblich erschreckend auf die Familie wirken und ich hoffe, eure finanzielle Situation lässt es zu, ihr da beizustehen bis ihr eine Lösung findet, die für alle Parteien machbar sind, aber vielleicht hilft es euch etwas den Leidens- und Handelsdruck herauszunehmen, wenn ihr seht, es ist vielleicht gar nicht so schrecklich für deine Tante gerade, besonders wenn sie selbst sagt, es geht ihr gut. Es ist schwer Menschen in einer Psychose zu glauben, kann ich nachvollziehen, aber was sie fühlen und wahrnehmen ist echt für sie - wenn deine Tante also sagt, sie ist glücklich, dann würde ich das annehmen und mir persönlich würde das schon etwaaaaaaaas Last nehmen. Es könnte ja auch anders sein, meine Partnerin hatte irgenwann z.B. Todesangst und dachte, ich würde sie umbringen wollen (nicht in ihrer ersten Psychose, sondern in einer Absetzpsychose), da hatte ich mir fast die erste Psychose zurückgewünscht, wo sie "nur" Wahnvorstellungen hatte, dass sie vielleicht multipel sein könnte, was in ihrer Situation Sinn gemacht hat - multipel sein hätte bedeutet, nicht komplett alleine zu sein, eine "Lösung" für ihre Einsamkeit. Ich hoffe man versteht, was ich meine. Ich verstehe, dass ihr helfen wollt, es braucht aber Zeit und in der Zeit, in der deine Tante es noch nicht bemerkt, dass etwas nicht stimmt, weil ihre Psychose ihr vielleicht gerade großen Trost bietet, könnt ihr sie da nicht von abbringen. Stell dir einfach vor jemand würde dir wegnehmen wollen, was sich gerade richtig gut für dich anfühlt, nur, weil er "denkt es wäre nicht real/schlecht"? Das tut weh!
Es ist auch wichtig, dass ihr auf euch achtet. Ihr habt und könnt nicht für alles die Verantwortung haben. Und so beängstigend und schrecklich das alles ist, manchmal ist es an uns Angehörigen, mehr Verständnis zu zeigen und erst einmal an unserer Angst und Sorge zu arbeiten, bevor wir gut sein können für unsere Liebsten, weil wir sie sonst auch noch mit unseren negativen Gefühlen belasten und das ist oft kontraproduktiv. Im Nachhinein kann ich zumindest sagen, dass mein Handelsdruck (mein Nachfragen, mein "Wir sollten zum Arzt/in die Klinik", "Du brauchst Hilfe", "Das macht mir Angst/Sorge", "Da stimmt doch was stimmt", "Das kann so nicht weitergehen" und Ähnliches, entweder direkt gesagt oder auch einfach nur non-verbal gezeigt) es schlimmer gemacht hat für meine Partnerin und mich. Ich hätte ihr mehr Zeit geben müssen und von Anfang an direkter auf das eingehen, was sie gerade empfindet, auch den Wahn ernstnehmen, selbst wenn es für mich natürlich "überhaupt keinen Sinn" gemacht hat. So kam ich am besten an sie ran und es war weniger Stress. Durch Stress und Druck wurde alles schlimmer und ist bei uns leider richtig eskaliert.