Aktuelles

Psychose & Schizophrenie Forum ❤️

Herzlich willkommen in unserer hilfsbereiten Community. ✨ Hier findest du Austausch mit Betroffenen, Angehörigen und Experten – ein Ort, an dem du deine Symptome und Erfahrungen verarbeiten kannst.

Registriere dich jetzt und nutze alle Vorteile:

  • 🌐 Ein aktives Forum mit Chat- und PN-Funktion
  • 💊 Medikamente-Empfehlung ← Empfehlung bei Kognitiv- und Negativsymptomen für mehr Lebensqualität
  • 💙 Eine unterstützende Community, die an deiner Seite steht

Wir freuen uns darauf, dich in unserer Gemeinschaft zu begrüßen! ☀️

Nach dem Login wird dieses Textfeld automatisch ausgeblendet.

Flüchte dich nicht in die Krankheit (die Geschichte meines Vaters)

LordHabicht

Member
Liebe/r Forumsteilnehmer/in,

machen Sie bitte einen Fehler nicht: Sich mit der Krankheit identifizieren, Ihre Persönlichkeit auf die Schizophrenie zu reduzieren (wie schon in meinem letzten Artikel erwähnt). Denken Sie nicht: “Ich habe Schizophrenie und deswegen mangelt es mir und ich kann nicht glücklich sein”. Sie sind wesentlich mehr als Ihre Krankheit. Sie SIND nicht Ihre Krankheit, die Krankheit ist nur ein kleiner Teilaspekt ihres facettenreichen Wesens und nicht der bestimmende Faktor, wenn Sie es nicht dazu kommen lassen.

Mein Vater der vor 4 Jahren starb war an sich ein sehr intelligenter und feinfühliger Mann. Er war ein guter Mensch. Er liebte Musik über alles und spielte in unserem geselligen Miteinander mit der Großfamilie gerne Gitarre und sang dazu. Das habe ich von ihm übernommen. Er brachte mir auch das Schachspiel bei und lehrte mich mit einem Computer umzugehen. Wir beide liebten Computer. Er ging mit mir aufs Volksfest, in den Zoo, ins Schwimmbad und in die Bibliothek. Meine Eltern hatten sich sehr geliebt.

Doch mein Vater war hochgradig Tablettensüchtig. Schon als Jugendlicher hat er starke Beruhigungsmittel bekommen. Später kamen Psychosen und Depressionen dazu, die zur Scheidung meiner Eltern führten. Er hatte sich ab einem bestimmten Punkt sehr verändert, sich aus der Familie zurückgezogen und war in seiner Welt, in seiner Vergangenheit, gefangen. Meine Schwester, die ihn noch kannte, als er ganz anders war, war sehr wütend auf ihn und machte ihm Vorwürfe. Ich hingegen wurde als Kind, ich war 11 Jahre alt, sehr still und zog mich in meine Welt und Fantasie zurück. Ich betäubte meine innere Leere und schlechten Gefühle mit Videospielen.

Mein Vater war nicht für mich da, als ich dringend seine Hilfe gebraucht hätte, zum Beispiel mit dem Mobbing in der Schule. Er hat mir vor allem nicht genug Liebe gezeigt und mir nicht beigebracht, mich zu wehren und Emotionen zu äußern. Ich erinnere mich daran wie er stundenlang auf der Couch saß und seinen Bart zwirbelte. Ich wusste als Kind schon, dass ich „zu wenig Aggression zulasse“ und alles mit meinem Kopf mache, keine Gefühle nach außen lasse, leider habe ich auch das von meinem Vater geerbt.

Er war ein Mensch der sein Leben lang Ärger und Aggression runtergeschluckt hat, bis sich diese irgendwann gegen ihn selbst gerichtet hat und ihn gefangen nahm. Wenn er mal redete, was selten war, dann sehr flach und in einem apathischen, monotonen Ton. Wenn ihm zu einer Frage nichts einfiel, sagte er einfach gar nichts. Er war blockiert. In einem seiner Gedichte (die nicht so gut waren) hat er sich mit einem Vulkan verglichen. In dem es brodelt, der jederzeit ausbrechen könnte. Ein weiterer seiner Sprüche war “Wir Rukavinas sind sehr potent”. Einmal sagte er als wir im Café saßen: “Ach weißt du, die Liebe die manche Eltern zu Ihren Kindern hatten, so was hatte ich eigentlich nicht”. Ich sagte nichts dazu, aber es hat mich sehr verletzt. Irgendwie glaube ich auch nicht das es wahr ist. Da sprach die Krankheit aus ihm.

Er hat sich in die Krankheit geflüchtet und gab jegliche Verantwortung für sein Leben an Ärzte, Kliniken und letztlich an ein Pflegeheim ab. Er wollte “seine Ruhe” und es war alles “zu anstrengend”. Er meinte schlauer zu sein als die Ärzte und er könne sie so manipulieren wie er wollte. Er kämpfte für einen Rollstuhl und er bekam ihn. Er kämpfte für ein Krankenbett und er bekam es, er kämpfte für einen Platz im Heim und er bekam ihn.

Wofür er nicht gekämpft hat war sein Glück und seine Zukunft und für seine Kinder. Er hat aufgegeben und machte es sich mit seiner Diagnose “Multiple Sklerose” bequem.(Meine Mutter war der Meinung, er habe gar keine multiple Sklerose und die Nervenschäden kämen von dem Tablettenmissbrauch. Genau wissen kann ich es nicht)

Er hatte Sprüche drauf wie “Wir MS Kranken sind sehr stolz”. Na, herzlichen Glückwunsch. Das meine ich mit Identifikation mit der Krankheit. Sie dominiert das ganze Leben und man verabschiedet sich vom Glück und dem, was einem das Leben zu bieten hat – wenn man nicht für dieses Glück (und seine Gesundheit) kämpft. Man ist gefangen in einem Gefängnis aus Gedanken und den Schatten der Vergangenheit. Mein Vater hat sich entschieden nicht zu kämpfen und er hat einen hohen Preis dafür mit Einsamkeit und Freudlosigkeit bezahlt. Das hat mein Leben und das Leben meiner Schwester sehr geprägt. Wir wollten nie so enden. Vielleicht wollen wir auch mit unseren Auftritten (meine Schwester ist Tänzerin) und unseren kreativen Leistungen „unseren Papa beeindrucken“ und wollen dass er stolz auf uns ist, was er uns früher nicht zeigen konnte.

In der Psychologie spricht man auch vom „sekundären Krankheitsgewinn“, also den Vorteil den man vermeintlich durch die Krankheit hat, was zu einer Aufrechterhaltung der Symptomatik beiträgt. Bei meinem Vater war dieser dass er keinerlei mehr Verantwortung mehr für sein Leben übernehmen musste, er musste nicht arbeiten und er musste sich nicht mehr anstrengen sein Leben zu organisieren. Er hat sich einfach fallen lassen und es sich mit seiner Diagnose bequem gemacht. Einmal sagte er, „es ist schön hier (im Heim), ich bin wie im Hotel“.

Ich verstehe, dass sich der Mensch manchmal psychischen Situationen ausgeliefert sieht, die einfach “zu viel” und zu überwältigend sind als dass man sie ertragen könnte und manche Menschen zerbrechen daran, ich habe diese Zustände selbst erlebt. Ich kenne den Schmerz! Vielleicht hatte es mein Vater noch schwerer als ich?

Und deswegen kann ich ihm auch verzeihen, dass er sich so und nicht anders verhalten hat. Aber ich habe gesehen was es bedeutet aufzugeben und welchen fürchterlichen Preis man dafür bezahlt. Alle Freunde und die meisten aus der Familie haben sich von ihm abgewandt und mein Vater lebte Jahrzehntelang in einem Pflegeheim, lag den ganzen Tag im Bett und grübelte bis er irgendwann starb.

Er war sehr einsam und ich hasste die Besuche bei ihm im Heim. Die bedrückende Atmosphäre, wie bei uns früher zu hause. Die Stille. Das Schweigen.

Nur das Schach spielen hat uns etwas Freude gemacht. Darin war mein Vater trotz seiner geistigen Einschränkungen unschlagbar. Es tut mir heute leid, dass ich nie zu meinem Vater durchgedrungen bin, ich habe es versucht. Es tut mir leid, dass die Besuche immer seltener wurden und dass er so einsam war, er dieses schlimme Leben haben musste. Er hat falsche Entscheidungen getroffen. Wir sind aber alle nur Menschen und machen Fehler. Deswegen kann ich heute sagen: “Papa, ich vergebe dir”

Ich erinnere mich wie meine Schwester und ich am Sterbebett meines Vaters waren während seiner letzten Stunden. Es ist gut, dass mein Vater zumindest auf seinem letzten Weg nicht alleine war und ich hoffe es geht ihm gut da wo er jetzt ist und hat seinen Frieden gefunden. Ich habe meinem Vater verziehen und behalte das Gute in Erinnerung.



Weitere Artikel und Bewältigungsstrategien auf meinem Blog Die Seele will gesund werden – Gedanken über ein erfolgreiches Leben mit Schizophrenie
 
Ich sehe Parallelen in meinem Sohn-Vater-Verhältnis. Ich sag mal so ich würde, selbst wenn man die Diagnose einer Schizophrenie bekommen hat, dies nicht so einordnen, dass man sich damit voll identifiziert. Es sind Teile von Erfahrungsmustern - mehr nicht.

Die Sache ist doch die, das kann ich zumindest aus meiner Erfahrung berichten, dass psychosozialer Stress und Erwartungsdruck in "unserem" Fall Psychosen auslöst. Das Unterbewusstsein hat einen Weg gefunden auf sich aufmerksam zu machen und mit Symptomen zu reagieren.
Also teilweise würde ich meine Psychosen damit erklären, dass ich meinem Umfeld und auch vor allem auch dem Vater unterschwellig gezeigt habe, dass ich verletzt bin. So in gewisser Weise: "Siehst du jetzt ENDLICH was ihr bei mir angerichtet habt"...also aber alles unterbewusst natürlich. "Krankheitsgewinn" ist in diesem Falle eben nicht mehr nach den Erwartungen anderer funktionieren zu müssen.

Mein Vater starb vor 3,5 Jahren - ich hege kein Groll mehr, aber ich war nicht in der Lage auf die Beerdigung zu gehen und ihm eine "Ehre erweisen" wie es sich vielleicht gesellschaftlich gehört und ich bekam eine schwere psychotische Phase. Dies war allerdings ein Rückfall.
 
Wie heisst es so schön:
Ehre wem Ehre gebürt!
Es sind unter anderem gesellschaftliche Zwänge, die psychische Erkrankungen begünstigen.
Ich wurde (leider) so erzogen, dass Familie alles ist und funktionieren muss- egal wie Scheisse dieser kranke Haufen auch sein mag.
Für mich bedeutete meine Ursprungsfamilie nichts weiter als Lügen und Selbstverleugnung- und hat mich schwer krank gemacht.

Trotzdem glaube ich, dass bei psychischen Erkrankungen eine gewisse Identifikation erforderlich ist- in dem Sinne, dass ich sagen kann: ja ich bin krank, es ist ein Teil von mir.
Wenn ich Schnupfen habe, sag ich doch auch zum AG: ich BIN krank.

Sich dahinter verstecken und in seinem Selbstmittleid zerfliessen ist natürlich keine Lösung- aber den ganzen Tag schweigend im Bett liegen und vor sich hinbrüten würde ein Gesunder ganz sicher nicht machen.

Ich bin der Meinung, wenn der Mensch etwas tut- dann hat das für ihn auch einen Grund. Ob wir das nun verstehen können oder nicht, ist ja was anderes.
 
Zurück
Oben